1788 und 1811 – Die schrecklichen Krankheitsjahre von Weseke

In den Heimatblättern 69 und 70 haben wir die Auswertungen einer Bestandsaufnahme der Weseker Bevölkerung des Jahres 1749 beschrieben, die uns der Niederländer Frank Geradts zur Verfügung gestellt hatte. Dabei ging es im Wesentlichen um die Arbeits- und Lebensbedingungen zu der Zeit.
Eine weitere Untersuchung von Frank Geradts beschäftigt sich mit zwei gefährlichen Seuchen, denen im 18. und beginnenden 19. Jh. viele Weseker Dorfbewohner zum Opfer fielen.
Die Pocken, einst als eine der schlimmsten Seuchen gefürchtet, an denen überwiegend Kinder und Jugendliche starben, sind seit rund 50 Jahren ausgerottet.
Die Ruhr, hochansteckend und von Bakterien verursacht, ist immer noch weltweit verbreitet und auch bekannt als „Reisekrankheit“. Warme Länder mit schlechten hygienischen Verhältnissen und mangelnder Abwasserversorgung sind häufig betroffen. Früh erkannt, kann sie mit Antibiotika wirksam bekämpft werden.

Die Pocken- und Ruhrepidemie in Weseke
In Wesekes Kirchenbuch Nr. 3 wurde ab Oktober 1785 neben den üblichen Angaben wie Vorname, Nachname, Alter und Todesdatum auch die Todesursache vermerkt. Von diesem Monat an wurde dies unter der Überschrift „Genus Morbi“ erwähnt, was sie zu einer wichtigen Quelle für eine historisch-medizinische Analyse der (Muster der) Todesursachen in Weseke macht. Dadurch war es möglich, sowohl die Pockenepidemie von 1788 als auch die Ruhrepidemie von 1811, die Weseke beherrschte, zu untersuchen.
Reguläre Sterblichkeit
Über einen Zeitraum von neun Jahren 1781-1790 (ohne 1788) betrug die durchschnittliche Anzahl der jährlichen Todesfälle 29. Die Haupttodesursachen von Oktober 1785 bis Ende 1790 (ohne das Jahr 1788), wie in Buch 3 der Kirche festgestellt, sind in abnehmenden Prozentsätzen angegeben: Wassersucht (Hydropsie): 30%, Tuberkulose / Schwindsucht (Tabes): 22%, Alter (Aetas / Senectus): 12%, Frau starb bei der Geburt (Mortua est in puerperio): 7%, Kind starb bei der Entbindung (Obstetrice babtizatus): 7%, Bewusstlosigkeitsattacke aufgrund von inneren Blutungen mit tödlichem Ausgang / Schlaganfall / Hand Gottes (Apoplexia): 6%, Gicht / Krampfanfälle (Convulsio): 6%, Typhus (Typhus): 5%, Asthma (Asthma): 3%, Schwankendes Fieber (Febris Hectica): 2%.

Die Pockenepidemie von 1788

Die Pocken (Variola) herrschten, genauso wie in anderen Städten und Dörfern, wahrscheinlich auch in Weseke. Durch die Auflistung der Todesursachen wissen wir heute, dass es zumindest 1788 eine Pockenepidemie gab. Diese Epidemie führte am 28. April 1788 zum Tod des ersten Opfers Maria Catharina Schulten, der 9-jährigen Tochter von Joseph Schulten und Anna Elisabeth Schmit. Die Epidemie entwickelte sich rasch und dauerte 6 Monate bis zum 19. September, wobei insgesamt 34 Kleinkinder (d.h. 2,4% der etwa 1430 Einwohner im Jahr 1788) starben. Von diesen Kindern waren 31 (17 Mädchen und 14 Jungen) unter 10 Jahre alt und mehr als die Hälfte war unter 5 Jahre alt. In Weseke starben im Jahr 1788 insgesamt 64 Menschen, davon 34 an den Pocken, das sind 53% der Gesamtzahl der Todesfälle. Aus der Literatur geht hervor, dass die Pocken-Infektionsrate wahrschein-lich bei etwa 15% der Bevölkerung lag. Geht man von etwa 1430 Einwohnern aus, so ist davon auszugehen, dass in Weseke etwa 215 Einwohner mehr oder weniger stark mit Pocken infiziert waren, von denen 34 (16% der Infektionsfälle) starben und 181 sich erholten. Häufig hatte diese Heilung eine Reihe möglicher Folgen wie: Narben am Körper und im Gesicht (Pocken), negative Auswirkungen auf das Größenwachstum, Blindheit, Gelenkentzündungen und bei Frauen Fehlgeburten. Ende 1790 trat der Tod durch die Pocken noch einmal und 1791 noch sechsmal in Weseke ein.

In Ramsdorf gab es 1788 vom 21. April bis 9. Oktober fast gleichzeitig eine Pockenepidemie mit 18 Todesfällen. Von insgesamt 64 Todesfällen im Jahr 1788 sind das 28%. Die Bevölkerungszahl in Ramsdorf war kleiner als in Weseke: etwa 950 Einwohner, sodass die Sterblichkeitsrate durch Pocken mit 2% der Gesamtbevölkerung fast die gleiche war wie in Weseke im Jahr 1788.

Was konnte man gegen die Pocken tun? Die Übertragung der Pocken erfolgt häufig über zerstäubte Speichelpartikel und direkten Kontakt. 1787 ordnete die Regierung von Kleve an, dass Opfer von Infektionskrankheiten nicht mehr zur Ruhe gelegt werden durften. Außerdem mussten die Gräber vertieft, die Sargnähte mit Pech verschlossen und die (übliche) Waschung der Leiche durch Nachbarn/Anwohner aus der Umgebung verboten werden.

Neben dem Engländer Edward Jenner galt Wilhelm Bernhard Nebel als einer der ersten deutschen Ärzte, der sich von Berufs wegen mit den Pocken beschäftigte und bereits 1729 über Impfungen schrieb. Er heilte 1744 den Kurfürsten Karl Theodor von der Pockenkrankheit durch eine Pockenimpfung. Es folgten weitere Entwicklungen: 1801 wurde in Bayern ein Impfzentrum eingerichtet, 1803 waren in Deutschland bereits 17.000 Menschen geimpft, und 1807 ordnete Napoleon die Impfung seiner gesamten militärischen Truppen an. Weitere Fortschritte in der Bekämpfung ergaben sich in Deutschland erst nach der Reichsgründung. Reichskanzler von Bismarck brachte ein Impfgesetz ein, das am 8. April 1874 im Reichsgesetzblatt veröffentlicht wurde. Das war kurz nach den letzten großen Pockenepidemien in Deutschland in den Jahren 1870 und 1873, die etwa 181.000 Menschen das Leben kosteten.

Die Ruhrepidemie von 1811

Nach den Pocken wurde Weseke 1811 erneut von einer Epidemie, nämlich der Ruhrepidemie oder auch Dysenterie genannt, geplagt. Obwohl diese nur kurz andauerte, starben vom 27. September bis zum 20. November 25 Einwohner an dieser Krankheit. Insgesamt 9 Männer und 16 Frauen. Die Einwohnerzahl von Weseke betrug damals etwa 1550. Das bedeutet, dass 1,6% der Einwohner daran starben. An der Ruhr starben ebenso viele junge Menschen (0-10 Jahre) wie ältere Menschen (60-80 Jahre). In Weseke starben 1811 insgesamt 70 Menschen. Das bedeutet wiederum, dass die Ruhr fast 36% der Gesamtzahl der Todesfälle ausmachte. Auch in Ramsdorf herrschte 1811 vom 15. September bis zum 16. Dezember Ruhr, die 32 von insgesamt 68 Verstorbenen (47%) im Jahr 1811 forderte. Damals wurde die Ruhr als eine unvermeidliche Krankheit angesehen, die oft in einer trockenen Sommerperiode begann und mit dem nahenden Winter aufhörte. Ein trockener Sommer bedeutete eine Absenkung des Grundwasserspiegels, wodurch der Zugang zu frischem Wasser erschwert wurde und sich die Qualität der Quellen schnell verschlechterte. Dies bedeutete oft einen Nährboden für Ruhr, wenn man das damalige Hygieneniveau berücksichtigt.

Was konnte man gegen die Ruhr tun? Um 1500 wurde noch (entrahmte) Ziegen- oder Mandelmilch als Heilmittel gegen Ruhr verwendet. Im 18. Jahrhundert folgten Brechwurzel (Ipecacuanha), Buntstein (Antimon), Kreide, Kalomel, Cognac, heiße Bäder und sogar Opium (Laudanum). Der Verzehr von Rhabarber und Obst erwies sich ebenfalls als vorteilhaft. Es war schließlich der Deutsche Theodor Escherich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der eine bakteriologische Grundlage vermutete. Anfangs war es schwierig, den Erreger unter den vielen Bakterien im Magen-Darm-Trakt kranker Probanden zu finden, aber am Ende war er dennoch erfolgreich.

Pfingstbrauchtum in Weseke
Affstand haollen!