Ein Besuch in Weseke und Burlo Ende des 18. Jh.

In den „Weseker Dorfgeschichten“ finden sich bereits einige Beiträge, in denen nach Auswertung alter Urkunden und Archivfunde über die Lebensumstände im Dorf zur Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts  berichtet wird. Darüber hinaus hat Josef Benning in seinem „Weseker Urkundenbuch 4“ eine Vielzahl von Abschriften aus verschiedenen Archiven aus der Zeit von 1700 bis 1800 zusammengefasst, die interessante Einblicke in die Dorfgeschichte gewähren.
Hier lassen wir einen Zeitgenossen zu Wort kommen, der auf seiner Wanderung durchs Land – heute würde man vielleicht von einem Selbstfindungstrip sprechen –  im damaligen Weseke Rast macht, bevor er zum Kloster Groß-Burlo aufbricht. In seinem Buch „Meine Wallfahrt zur Ruhe und Hoffnung oder Schilderung des sittlichen und bürgerlichen Zustandes Westphalens am Ende des 18. Jhdts.“ (Frankfurt a/M. 1803, 2. Teil, S. 136ff.) schildert Justus Gruner, wie er von Coesfeld aus – er hatte ein Trappistenkloster bei Billerbeck besucht, das ihm besonders missfallen hatte, weil dort eine Anzahl Knaben sehr streng erzogen wurde, – über Weseke und Kloster Groß-Burlo nach Ringenberg wandert. Seine Erlebnisse und Eindrücke in Weseke und Burlo beschreibt er, der evangelische Osnabrücker, unter dem Titel „Toleranz“.

Es ward später Abend, bis ich in Weseke, einem andern münsterischen Städtchen, ankam. Als ich ins Wirtshaus trat, setzten sich die Hausleute eben zum Nachtessen und waren mit dem Tischgebet beschäftigt. Keiner sah sich nach mir um. Ich nahm den Hut in die Hand und wartete, bis die Andacht vollendet war. Dann trat ich näher, und der Wirt kam mir mit einem freundlichen Willkommen! entgegen. Er führte mich in ein kleines, reinliches Zimmer, und darauf trat die Wirtin hinzu: ,,Essen sie auch Fleisch?“ – Warum nicht? – „Es ist Fasttag!“ erwiderte sie und setzte schnell, als sie meine Verlegenheit merkte, hinzu: ,, Doch Sie sind auf Reisen, da ist es wohl erlaubt.“ – Nein, geben Sie mir, was Sie haben. – „Wir haben’s“ sagte der Wirt, ,,und Sie sind nicht katholisch, wie ich beim Beten gesehen habe. Warum wollten Sie kein Fleisch essen?“ – Ich nahm es also an und ließ mich indes mit dem Wirt in ein Gespräch ein. Er war ein billiger, aufgeklärter Mann. ,,Wir wohnen hier schon näher an der preußischen Grenze,“ sagte er, da kennen wir das dortige und das unsrige Wesen schon besser.“ Ich sagte ihm, dass ich nach dem Kloster Groß-Burlo wollte, weil mir von der dortigen Toleranz und dem angenehmen, freien Leben viel erzählt wäre. ,,Die Herren leben köstlich,“ erwiderte er, ,,und das Kloster ist sehr reich: aber es stehet am ersten auf der Wippe, weil es hart an der Grenze liegt. Vielleicht wäre es besser, dass die Herren demütiger lebten; sie möchten’s zu spät bereuen.“ In diesem Tone redete er fort, und seine wackere Frau, eine tätige reinliche Wirtin, stimmte mit ein.

Als ich mein Abendessen begann, kamen ein paar arme französische Geistliche hinzu, welche sich ein paar Stunden weit ihr Mittagsmahl verdient hatten und nach Südlohn, einem münsterländischen Flecken, wollten. Sie setzten sich zu mir, beteten und aßen ihre Eier, ohne einen Anstoß an meinem Fleischessen und zeremonielosen Beten zu nehmen. Vielmehr unterhielten sie sich emsig mit mir. Ich fand sie sehr fromm und rechtgläubig, aber ebenso tolerant, wie die gastfreien Wirtsleute (sie beherbergten diese armen Priester umsonst), denen ich das Französische verdolmetschte. Wir kamen auf das Kloster de la Trappe zu reden. Beide Priester waren drin gewesen mit dem Vorsatze, Mitglieder des Ordens zu werden, hatten ihn aber aufgeben müssen, weil sie nach ein paar elend verlebten Monaten höchst ungesund geworden waren. Der eine litt noch an den Folgen jener verkehrten Lebensweise. Sie sowohl als meine Wirtsleute bekannten einmütig: ,,Dass Gott an einem solchen unnatürlichen, undankbaren Leben kein Gefallen finden könnte“, – und mein Wirt schwor, dass die Trappisten mit seinem Willen weder eins seiner Kinder, noch eins aus dem Orte in ihre Gewalt kriegen sollten!

 

Doppelt frohen Mutes über diesen ersten Beweis von Toleranz eilte ich dann auf das Kloster Groß-Burlo zu, wo ich nun gewiss hoffte, die Aufnahme zu finden, weshalb ich diesen Umweg auf Emmerich machte. Man hatte mir es nämlich als eine Ausnahme aller Klöster, als den Sitz der Toleranz und humaner Gelehrsamkeit geschildert. Vorzüglich war ich in dieser Hinsicht auf den Subprior aufmerksam gemacht worden, und ich gestehe, dass ich mich auf die Bekanntschaft eines solchen Mannes in diesem Stande mehr freute, als je auf eine ähnliche. Überhaupt dachte ich in diesem Kloster endlich das Ideal erfüllt zu sehen, was mir meine Phantasie so oft davon entworfen hatte: die friedliche Wohnung einiger Menschenfreunde, die, entzogen allen äußeren Störungen, sich nur ihrer und fremder Bildung weihen, das Volk durch Lehre und Beispiel aufklären wollten. In dieser Erwartung kam ich mittags dort an und kehrte, weil es kein Wirtshaus gab, bei dem Pförtner ein. Hier schrieb ich mit Bleifeder ein kurzes Billet an den Pater Subprior, worin ich ihn um die Erlaubnis bat, seine persönliche Bekanntschaft machen und durch diese das Merkwürdigere des Klosters, vorzüglich dessen mir gerühmte Bibliothek, sehen zu dürfen, auf. Um jedoch einen Auftritt, wie den gestrigen im Trappistenkloster, zu vermeiden, fügte ich hinzu, dass ich Protestant, aber gewohnt sei, jede andere Glaubenszeremonie zu achten. Der Pförtner trug das Billet hinein und sagte mir, daß ers einem Bedienten übergeben hätte, weil die Herren speisten, und viele Fremde an der Tafel wären; ich würde wohl gleich geholt werden. Dies geschah aber nicht. Ich hatte beinahe eine Viertelstunde vergebens gewartet und das große gothische Gebäude des Klosters gemustert, als der Pförtner mich ermunterte, hineinzugehen. Er führte mich in die Küche, wo ein köstliches Mahl teils noch bereitet, teils in Überbleibseln aus den Zimmern getragen ward. Einige Zeit lang hatte ich neben dem fruchtbaren Feuerherde gestanden, mich von den versammelten Domestiken teil begaffen, teils ausfragen lassen und nebenbei von der Jungfer Köchin erfahren, dass sie meine Landsmännin sei, als endlich das Zimmer aufging und ein Mönch heraustrat. – „Habe ich die Ehre, den Herrn Pater Subprior zu sehen?“ fragte ich ihn. – „Nein! Ich bin der Pater Küchenmeister“, antwortete er, indem er zugleich um mich herumging und mich als ein feil gebotenes Küchenstück musterte. – Nun, das freut mich, Ihr Vetter, Herr Rabe, den ich auf meiner Reise in Münster kennen gelernt habe, hat mir Komplimente an Sie aufgetragen. – „S -o? Sie ... kennen ihn also?“ – „Wie ich sagte.“ – „Und Sie sind aus O.?° – Wie ich dem Subprior geschrieben habe.“

„Und Sie reisen so – so – so zum Plaisir?“ – „Wenn sie wollen, ja. Zum Nutzen und zum Vergnügen.“ – „S – o? (zur Köchin): Ist denn der Aal bald fertig?“ – „O ja!“ erwiderte diese, ,, und denken Sie mal: der Musje ist ein Landsmann von mich!“ – „So? La-Landsmann? Und wo wollen Sie denn jetzt hin?“ – ,, Über Ringenberg nach Emmerich.“ – , Und das alles bloß – bloß – vor Plaisir?“ – „,Nun ja doch!“ – „S – o? Hm! Und nun – hm! Nun wollten Sie hier das Kloster sehen?“ – „Vorzüglich nur den Herrn Subprior.“ – „Hm! Ja so! Ja .. “ mit diesen abgebrochenen Worten entfernten sich Se. Ehrwürden wieder in das Esszimmer und ließen mich in nicht geringem Erstaunen zurück, welches sich noch unendlich vermehrte, als ich beim Aufgehen der Türe sah, dass drei Mönche beschäftigt waren, mein Billet zu lesen, sich laut zu erklären und mit den ignorantesten Anmerkungen zu glossieren – am meisten aber, als mich ein Bedienter versicherte: der mittlere dieser Herren sei der Pater Subprior. So groß vorhin meine Hoffnung gewesen war, so groß ward nun natürlich mein Ärger über das gänzliche Fehlschlagen derselben. Nur die Begierde des Ausganges dieser Szene hielt meine Geduld zum längeren Warten fest. – Nach einer guten Weile kam denn auch der sehr ehrwürdige Pater Küchenmeister zurück. ,,Also“, hub er an „Sie reisen bloß vor Plaisir?“ – Ich habe Ihnen das schon zweimal erklärt!“ antwortete ich ärgerlich. – „Nun ja – hm! Sie wollten wohl was zu essen haben?“ – „Ich habe gegessen und werde für mein Geld wieder essen. Hier mag ich nichts – ich ... “ – „Ja! Hm! Sie wollten das Kloster sehen – nun da will ich Ihnen jemand geben …. “ – „Nein! Ich wollte den Pater Subprior erst sehen. Kann ich das nicht?“ – Hm! Hm! Nein; er ist jetzt verhindert; aber unsern Gärtner – he! Franz!“ – „Nein Gärten,“ rief ich höchst aufgebracht, ,,habe ich öfters gesehen – vollends Klostergärten! Hier dachte ich etwas zu sehen, was ich bisher noch nie gefunden hatte – aufgeklärte, humane Mönche. Doch ich bin ein Narr gewesen, weiße Mohren aufzusuchen, und bitte Sie deshalb recht sehr um Verzeihung. Aber – indem ich mich zu den Domestiken wendete – „,ist niemand hier, der mich für Geld und Bitten auf den Weg nach Ringenberg leitet, damit ich aus diesem unseligen Tempel komme?“ – „Mein Herr!“ rief ein hervortretender großer Knecht in holländischer Sprache, ,,ich will mit Ihnen gehen, wohin Sie wollen!“ – „So komm!“ rief ich und ging, ohne mich noch einmal weder nach dem Pater noch nach meiner Landsmännin umzusehen, höchst erbittert davon.


Mein Führer suchte mich zu beruhigen und versicherte mich, ich sei nicht der erste, dem es so ginge. Die Herren wären freigebig, wenn sie einem wohl wollten; aber – er hätte gleich gemerkt, dass ich ein Ketzer wäre, und das Ende wohl voraus gedacht. (Freilich hätte auch ich dies vorher denken und den ganzen Auftritt vermeiden können, wenn ich damals gewusst hätte, was ich nachher erfuhr, dass der Subprior ein abgedankter Trompeter und die Lebensweise dieser Mönche äußerst skandalös ist); „Nein!“ rief er lebhaft, ,,da lob ich mir mein Vaterland Holland. Herr! Da leben wir alle mit und unter einander – Juden, Christen, Katholiken und Lutheraner, das ist alles Eins. Da gilt nur der ehrliche, fleißige Mann. Wäre ich nicht schon so lange hier, ich würde bald dort sein. Gott ehre mir Holland! Das ist ein Land, wo die Leute weniger beten, aber besser sind als hier.“ Er trennte sich erst spät von mir und versicherte, er wolle dem Pater Küchenmeister schon einmal einen Kohl dafür ziehen, der ihm nicht behagen sollte, Geld vermochte ich nicht, ihm aufzudringen.

Aktionstag 1. Mai 2023
Heimatlesung Ludger Wehning