Foto neueren Datums: Die Beresina im zugefrorenen Zustand.

Weseker in Napoleons Armee
oder:
Als Weseker Männer unter französischer Fahne in Russland einmarschierten

Frank Geradts und sein Bruder Jacob Gestman Geradts befassen sich in diesem Beitrag mit männlichen Bewohnern unseres kleinen Dorfes, die an den großen Kriegen Frankreichs unter Napoleon teilgenommen haben. Redaktionelle Ergänzungen in Kursivschrift
Der große Feldzug Napoleons gegen Russland begann am 24. Juni 1812 mit der Überquerung der Memel mit schätzungsweise 600.000 Soldaten. Der Grund dafür war, dass sich Russland nicht an die Vereinbarung der sogenannten Kontinentalsperre, dem Kampf zwischen England und Frankreich um die wirtschaftliche Vorherrschaft in Europa, hielt. Der Feldzug wurde zu einem Debakel *), bei dem nach unterschiedlichen Quellen und Zählweisen zwischcn 20.000 und 80.000 Soldaten überlebten. Die Rekrutierung für die Armee erfolgte an speziellen Ziehungstagen, die wegen der Einführung des Militärdienstes für Männer ab 20 Jahren durch Napoleon häufig zu Unruhen führten.  (Über 100.000 Deutsche mussten als Soldaten aus den Fürstentümern des Rheinbundes gestellt werden.) An einem vereinbarten Ort, z. B. in einem Gasthaus, wurden die möglichen Rekruten von speziell dafür ernannten Ärzten aus Paris beurteilt. Viele von ihnen nahmen ihren Vater oder ihre Mutter mit, die versuchten, den Arzt davon zu überzeugen, dass der Gesundheitszustand ihres Sohnes nicht gut war oder nicht zu übersehen sei. Es war möglich, die Wehrpflicht durch einen „Remplaçant“ (Ersatzmann) für 2000 Francs abzukaufen, damals der Preis für 4 bis 5 Pferde.

Es gibt kurze französische Beschreibungen der Soldaten von Weseke in Napoleons Armee, auf deren Grundlage anhand der Kirchenbücher von Weseke weiter unten ein Bild von ihnen skizziert wurde. Leider sind die Dateien nicht immer vollständig oder fehlerfrei, sodass die Nachnamen im Gegensatz zu den Namen im Kirchenbuch gegebenenfalls korrigiert wurden. Die im Kirchenbuch aufgeführten Familiennamen entsprechen nicht immer der aktuellen Schreibweise. Die Vornamen sind, ebenso wie die zusätzlichen Kommentare, aus dem Französischen übersetzt worden. Was den Tod der Soldaten betrifft, so ist festzustellen, dass die französische Verwaltung immer weniger genau mit den sehr großen Zahlen umging und schließlich überhaupt nicht mehr mitschrieben. Von einigen Weseker Soldaten ist daher nicht bekannt, wo und wann sie gestorben sind. In der „Grande Armée“ Napoleons, vor dem Russlandfeldzug 1812, befanden sich die folgenden 11 Männer aus Weseke, wie die (öffentlichen) Dokumente zeigen:

1) Gerardus Antonius Schmeinck mit dem Spitznamen Hermans (Weber), geboren am 30.06.1791, Sohn von Joann Schmeinck und Gertrud Wiggers, 08.04.1812 im Dienst beim 126. Regiment. 4.Bat. 4.Comp. Es ist anzunehmen, dass er gestorben ist an den Folgen dieser Kriege.
2) Gerard Henrich Schmeinck, geboren am 23.01.1785, auch ein Sohn von Joann Schmeinck und Gertrud Wiggers. Er war bei der Aufstellung des 126. Regiments am 06.10.1810, Zitat: „Nicht zugegen, und seitdem hat man nichts mehr von ihm gehört und wurde er wegen zu langer Abwesenheit von der Liste gestrichen“. Gerard Henrich Schmeinck heiratete am 25.08.1829 in Nichtern (Bauernschaft in Südlohn-Oeding) Anna Margaretha Erding aus Weseke und war dort als Landwirt tätig.
3) Gerardus Henricus Haverott (Zimmermann), geboren am 09.08.1789, Sohn von Bernard Haverott und Martha Böhms, 07.04.1812 im Dienst beim 125. Regiment 4.Bat. Er war der Ersatz für einen Wehrpflichtigen aus dem Jahre 1811 aus dem Departement Lippe, Kanton Borken, unter der Nummer 40. Haverott wurde Grenadier, der Rang, den er für: „Außergewöhnliche Taten und Ehrungen“ erhielt. Er hielt sich lange in Stettin auf, das im Oktober 1806 von Napoleon erobert wurde und der dort in 1812 von jedem Regiment (123. bis 126.) ein Bataillon zurückließ. Die Russen belagerten die Stadt lange Zeit vom 18. März bis 21. November 1813, danach wurde die Garnison in Kriegsgefangenschaft genommen. Bei Haverott heißt es, wörtlich auf Französisch, dass er: „In 1814 als Ausländer in seine eigene Heimat zurückgekehrt ist“.
4) Joannes Hermanus Hörne (Weber), geboren am 14.07.1789, Sohn von Gerard Schlütter Hörne und Joanna Boldering, 01.04.1812 im Dienst. Er war der Ersatz für einen Wehrpflichtigen aus dem Jahre 1811 aus dem Departement Lippe, Kanton Stadlohn, unter der Nummer 7 und wurde Soldat beim 125. Regiment 4.Bat 3.Comp. Auch Hörne blieb lange in Stettin und kehrte ebenfalls: „In 1814 als Ausländer in seine Heimat zurück“. Joannes Hermanus Hörne heiratete am 12.06.1818 in Weseke Anna Maria Stockers.
5) Joannes Gerard Lambertus Albers (Tagelöhner), geboren am 27.05.1787, Sohn von Joannes Gerardus Albers und Anna Margaretha Goessen, 07.04.1812 im Dienst beim 125. Regiment 4.Bat. 4.Comp. Er wurde auch: „In 1813 in Stettin blockiert und kehrte in 1814 als Ausländer in seine Heimat zurück“. Er heiratete am 31.01.1815 in Weseke Maria Christina Besseling.
6) Joannes Henricus Nienhuss (Tagelöhner), geboren am 06.08.1791, Sohn von Joan Henrich Nienhuss und Anna Margaretha Schrievershoff, 24.03.1812 im Dienst beim 125. Regiment 4.Bat. als: „Voltigeure“ (Leichte Infanterie). Auch Nienhuss war lange Zeit in Stettin und kehrte: „In 1814 als Ausländer in seine Heimat zurück“. Nienhuss heiratete in Weseke Maria Christina Hemming am 23.11.1825.
7) Gerardus Josephus Schmeinck, geboren am 25.12.1789, Sohn von Joann Henrich Schmeinck und Anna Christina Schulten. Im Dienst beim 126. Regiment und ist gestorben am 18.12.1812.
8) Joannes Bernardus Verinck , geboren am 01.05.1790, Sohn von Joann Adrian Verinck und Elisabeth Schlüters, 22.11.1811 im Dienst beim 3. Regiment und ist gestorben in 1813.
9) Joannes Bernardus Haverott, geboren am 28.05.1785, Sohn von Garrid Henrich Haverott und Maria Schmitman, 14.04.1811 im Dienst beim 126. Regiment und ist gestorben in 1812.
10) Bernardus Joseph Wigger, geboren am 26.01.1790, Sohn von Bernd Wigger und Joanna Maria Verdierik, 26.11.1811 im Dienst beim 3. Regiment und danach ab dem 01.07.1812 bei dem 4. Bataillon und ist gestorben in 1812.
11) Joannes Henricus Liestner (Weber), geboren am 28.11.1790, Sohn von Joannes Henricus Liestner und Maria Gertrud Lüdgers, 26.11.1811 im Dienst beim 126. Regiment. „Er wurde am 6. Dezember 1811 in die 1. Regiment-Artillerie aufgenommen“ und starb in 1813.

Bau der Brücken über die Beresina – WikiMedia.

Rückzug aus Moskau – WikiMedia.

Der Tod der unter Nr. 1 und 7 bis 11 genannten Weseker Soldaten wird nachfolgend erläutert. (Es ist anzumerken, dass Napoleon bis zu den ersten Feldschlachten bereits mehr als ein Drittel seiner Armee verloren hatte, hauptsächlich durch Krankheiten, Entkräftung und Desertion.) Gerardus Antonius Schmeinck, Gerardus Josephus Smeinck, Joannes Bernardus Haverott und Joannes Henricus Liestner gehörten zum 126. Regiment, das Anfang 1812 über Wesel, Berlin und Stettin in das Einsatzgebiet abreiste. Nach Schlachten bei u. a. Smolensk (17. August) mit ca. 10.000 Toten und Borodino (7. September) mit ca. 30 bis 35.000 Toten traf die Armee am 14. September mit noch etwa 100.000 Soldaten in Moskau ein, das in den folgenden Tagen durch Feuer bis zu drei Viertel vernichtet wurde. Napoleon wartete zu lange und vergeblich in Moskau auf die Kapitulation von Zar Alexander I., sodass seine Truppen auf dem Rückzug nach Ostpreußen in einen frühen, sehr harten Winter mit Temperaturen bis zu – 37 °C. gerieten. Die viel beschriebene chaotische Überquerung der Beresina fand vom 26. bis 29. November bei Borissow unter katastrophalen Bedingungen statt. Das 125. und 126. Regiment (die bereits am 30.10.1812  zusammengelegt worden waren) verloren so viele Männer, dass der Rest beim 123. Regiment untergebracht wurde. Napoleon hatte inzwischen genug an der Beresina gesehen und eilte am 5. Dezember nach Paris, wo er am 18. Dezember festlich begrüßt wurde, obwohl zu der Zeit viele seiner Männer unter kaum beschreibbaren Umständen nach Vilnius weiterzogen, das am 9. Dezember von den Russen angegriffen wurde, sodass sie letztendlich nach Kowno und Königsberg weiterziehen mussten. An der Beresina wurden auch der verbliebenen Männer des 123. Regiments zu Kriegsgefangenen gemacht und mussten oft lange Märsche ins Hinterland unter sehr harten Bedingungen unternehmen.

Übergang über die Beresina – WikiMedia.

Schlacht an der Beresina – WikiMedia.

Wahrscheinlich ist dies der Grund dafür, dass fünf Weseker fernab des gebräuchlichen Rückweges starben: Gerardus Josephus Schmeinck am 18.12.1812 in Nowgorod 200 km südlich von St. Petersburg, Joannes Bernardus Haverott 1812 in Samara 1100 km südöstlich von Moskau und Joannes Henricus Liestner 1813 in Aleksin 160 km südlich von Moskau. Vom 3. Regiment ist Joannes Bernardus Verinck in1813 in Bogoroditsk 200 km südlich von Moskau gestorben und Bernardus Joseph Wigger in 1812 in Twer 180 km südöstlich von Moskau. Über die Rückkehr oder den Tod von Gerardus Antonius Schmeinck wurde keine Aufzeichnung gefunden, es ist anzunehmen, dass er gestorben ist an den Folgen dieser Kriege. Im Kirchenbuch von Weseke gibt es keine Aufzeichnungen über diese Todesfälle.
Nach dieser fatalen Niederlage gelang es Napoleon in sehr kurzer Zeit, eine neue Armee von etwa 190.000 Mann aufzustellen. Er ließ diese schlecht ausgerüstete und ausgebildete Armee, die hauptsächlich aus jungen Männern bestand, im Frühjahr 1813 Richtung Osten marschieren. Die erste Schlacht fand im Jahr 1813 (ca. 20 Km südwestlich von Berlin) bei Großbeeren (23. August), eine weitere bei Dresden (26. bis 27.August) statt. (Napoleon konnte die Allianz aus Österreich, Preußen und Russland trotz Erfolgen nicht entscheidend schlagen.) Die letzte und ausschlaggebende Schlacht, auch Völkerschlacht genannt, bei der Napoleon besiegt wurde, fand dann bei Leipzig (16. bis19. Oktober) statt.

Der Brand von Moskau – Johann Christian Oldendorp DHM Berlin.

Im Folgenden sind die 4 Soldaten von Weseke aufgeführt, die sich dieser neuen Armee im Juni 1813 anschlossen, um Napoleons Macht in Deutschland im Sechsten Koalitionskrieg wieder herzustellen, was schließlich nach seiner Niederlage bei Leipzig zu seiner Verbannung auf die Insel Elba führte.
12) Bernardus Henricus Ignatius Gahlmann (Hufschmied) hatte eine Zwillingsschwester Anna Maria Fransica, geboren am 13.11.1793, Sohn von Wilhelmus Gahlmann und Anna Catharina Adelheid Kempers, 21.06.1813 im Dienst beim 21. Regiment. Er wurde am 15.09.1813: „Auf dem Feld“ verwundet, wahrscheinlich bei der Belagerung von Magdeburg, die an diesem Tag begann. „Danach hat man nichts mehr von ihm gehört“. Es ist anzunehmen, dass er da gestorben ist .
13) Gerardus Henricus Schmeinck (Weber), geboren am 15.11.1793, auch ein Sohn von Johannes Henricus Schmeinck und Anna Christina Schulten, 21.06.1813 im Dienst beim 21. Regiment. Am 10.11.1813, nach der Schlacht bei Leipzig, wurde er: „Wegen Abwesenheit aus der Armee genommen“, aber wahrscheinlich handelte es sich damals um die übliche Desertion **), denn nach dem Krieg heiratete er am 18.04.1820 in Weseke Maria Elisabeth Kreeft.
14) Johannes Franciscus Popping (Weber), geboren am 04.10.1793, Sohn von Joannes Henricus Popping und Anna Catharina Backenfeld, 21.06.1813 im Dienst beim 21. Regiment 5.Bat. 1.Comp. Wörtlich auf Französisch: „Er desertierte am 06.10.1813“ vor der großen Schlacht bei Leipzig und wurde am 06.09.1814 in Weseke Zeuge der Heirat seiner Schwester Joanna Margaretha Popping mit Gerhardus Henricus Benning.
15) Bernardus Hermanus Funcke (Gärtner von Obst und Gemüse), geboren am 11.02.1793, Sohn von Joann Henrich Funcke und Maria Beking, 21.06.1813 freiwillig im Dienst beim 21. Regiment. Er hatte ein Merkmal im Gesicht: „eine Narbe am Kinn“. Vermutlich war er an der Schlacht bei Großbeeren am 23.08.1813 beteiligt, weil er an diesem Tag als Verwundeter (und wahrscheinlich als Kriegsgefangener): „In das Lazarett von Dresden gebracht wurde“. Die Schlacht von Dresden fand nämlich nur wenige Tage später am 26. bis 27. August statt: „Danach hat man nichts mehr von ihm gehört“, es ist anzunehmen, dass er dort gestorben ist.

Von den 15 Männern aus Weseke, die zur Armee einberufen wurden, starben sehr wahrscheinlich acht.
Eine indikative Schätzung besagt, dass etwa 10% der Männer in Weseke in der Altersgruppe der 19 bis 25-jährigen an den Folgen dieser Kriege starben.

*) Mehr Informationen dazu finden im: „1812 Napoleons Feldzug in Russland“ vom Adam Zamoyski Verlag C.H. Beck
**) Die durchschnittliche Desertionsrate betrug 45%, wobei die Infanterie doppelt so hohe Zahlen wie die berittenen Truppen erzielte.

Vor dem Beginn des Herbstfeldzuges (Großbeeren/Dresden/Leipzig) zur Beendigung der Vorherrschaft Frankreichs über große Teile Europas trafen sich Napoleon und Fürst Metternich als Vertreter des noch unentschlossenen Österreichs am 26. Juni 1813 in Dresden. Bei diesem langen Gespräch gab es keine Zeugen.
Aus dem Bericht, den Metternich für Kaiser Franz I. von Österreich verfasste und den er auch in seine Memoiren übernahm, soll nachstehender Teil des Gespräches zitiert werden:
Napoleon: „ …. Sie wollen also den Krieg? ….“
Metternich: „Krieg und Frieden liegen in der Hand Eurer Majestät… Heute können Sie noch Frieden schließen, morgen dürfte es zu spät sein …“
Napoleon: „… Nimmermehr! Ich werde zu sterben wissen, aber ich trete keine Handbreit Bodens ab. Eure Herrscher, geboren auf dem Throne, können sich zwanzigmal schlagen lassen und doch immer wieder in ihre Residenzen zurückkehren; das kann ich nicht, ich, der Sohn des Glücks!
Meine Herrschaft überdauert den Tag nicht, an dem ich aufgehört habe, stark und folglich gefürchtet zu sein…“
Metternich: „… Das Glück kann Sie ein zweites Mal wie im Jahre 1812 im Stiche lassen. In gewöhnlichen Zeiten bilden die Armeen nur einen kleinen Teil der Bevölkerung; heute ist es das ganze Volk, das Sie unter die Waffen rufen … Ich habe Ihre Soldaten gesehen, es sind Kinder… Und wenn diese jugendliche Armee, die Sie heute unter die Waffen gerufen haben, dahingerafft sein wird, was dann?“
Napoleon: „… Ich bin im Felde aufgewachsen, und ein Mann wie ich schert sich wenig um das Leben einer Million Menschen … Die Franzosen können sich nicht über mich beklagen; um sie zu schonen, habe ich die Deutschen und die Polen geopfert. Ich habe in dem Feldzug von Moskau 300.000 Mann verloren; es waren nicht mehr als 30.000 Franzosen darunter.“
Metternich: „Sie vergessen, Sire, dass Sie zu einem Deutschen sprechen!“

Metternich charakterisierte Napoleon so:
„Er war so sehr daran gewöhnt, sich als den Mittelpunkt eines Systems, das er ins Leben gerufen hatte, zu betrachten, daß er am Ende gar nicht mehr begriff, wie nur die Welt ohne ihn bestehen könnte. Ich zweifle nicht im geringsten daran, daß er in der Tiefe seiner Seele in vollster Überzeugung mir gegenüber in der Unterhaltung zu Dresden 1813 an die Wahrheit seiner Werte glaubte, als er mir sagte:
Ich gehe vielleicht zu Grunde, aber die Throne und Europa werden mit mir untergehen!“
https://de.wikipedia.org/wiki/Treffen_zwischen Napoleon und Metternich

Jahreshauptversammlung 2020
Die Glocken der katholischen St.-Ludgerus-Kirche in Weseke