Als Weseker Bauern den Hof Drochters verwüsteten

Das Bürgerliche Gesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet das Recht, einen Weg oder Zugang über ein fremdes Grundstück zu nutzen als Wegerecht. Es kann per Vertrag zwischen zwei Parteien, als Grunddienstbarkeit oder über die Bauaufsichtsbehörde eingeräumt werden und ist nicht selten Anlass für Rechtsstreitigkeiten.
Bereits das römische Recht regelte über den Begriff der Dienstbarkeit z.B. das dingliche Nutzungsrecht an einer fremden Sache. Im ländlichen Bereich umfasste das Wegerecht das Durchgangsrecht, über ein fremdes Grundstück beladen oder unbeladen zu gehen, Vieh darüber zu treiben, zu reiten oder sich durch Tragtiere darüber tragen zu lassen. (Wikipedia)

Frank Geradts aus Drachten kann uns mit Dokumenten aus dem 17. Jh. belegen, dass auch damals Streit schnell in Gewaltanwendung umschlagen konnte, dass es aber auch eine Gerichtsbarkeit gab, die nicht nur Privilegien des Adels durchsetzte, sondern auch die berechtigten Belange der einfachen Bauern und Dörfler berücksichtigte.

Auch im 17. Jahrhundert gab es immer wieder Probleme mit dem Wegerecht im Dorf Weseke. Ein Beispiel dafür beschreibt Josef Benning im Weseker Heimatblatt Nr. 13.
Dörf
ler mit Vieh, aber ohne Weideland, waren auf die Weseker Mark angewiesen. Das Vieh wurde morgens in die Mark getrieben und gegen Abend zurück ins Dorf. Allerdings verlief der Weg zur Mark und zurück oft über den Grund und Boden einiger Höfe, die auf der Mark lagen. Das führte natürlich zu Problemen, da so ein Durchgang für Schäden am Eigentum der betreffenden Höfe sorgte.

Die von Josef Benning beschriebene Situation spielte sich 1688 auf dem Hof des Untermarkenrichters Schulte Beijering ab, der wollte, dass die Leute von nun an einen anderen Weg zurück ins Dorf nahmen. Aus diesem Grund hatte Schulte Beijering den Schlagbaum bereits geschlossen.
Allerdings wurde er von den Dorfbewohnern wieder geöffnet, sodass sie das Vieh hindurch treiben konnten. Da Unklarheit darüber herrschte, ob die Eschstegge oder die Düstere Stegge als Durchgang dienen sollte, und niemand mehr so recht wusste, wie es um die Situation bestellt war, musste der Gaugraf dies mittels einer Inspektion vor Ort herausfinden.
Kurzum, die ganze Geschichte kann im Heimatblatt Nr. 13 von 1983 nachgelesen werden.

War dies das einzige Problem, das damals in Bezug auf das Wegerecht auftrat? Nein, sicherlich nicht, das können wir aus der Tatsache ableiten, dass mehrere Unstimmigkeiten festgehalten wurden. Dank eines kürzlich gefundenen Dokuments im NRW-Archiv 1) wissen wir beispielsweise, dass das Öffnen des Schlagbaums bei Schulte Beijering im Vergleich zu dem, was ein Jahr später 1689 auf dem Hof Drochters geschah, nur ein „Kinderspiel“ war.

Hier ist die Geschichte dazu.

Wahrscheinlicher Weg zum Hof Drochters und zur Weseker Mark

Die Weseker Mark („Dörfer Kamp“) konnte über den Hof Drochters, der im Besitz des Adelshauses Velen war, erreicht werden. Am Montag, dem 2. Mai 1689, machten sich einige Weseker mit ihrem Vieh auf den Weg zum Hof Drochters, um zur Mark zu gelangen und um ihr Vieh an der Drochtersquelle zu tränken. Als sie aber dort ankamen, stellte sich heraus, dass das Tor des Hofes geschlossen war, sodass sie nicht passieren konnten. Offenbar war man nicht bereit, das Tor noch zu öffnen, sodass die Weseker mit ihrem Vieh wieder umkehren mussten. Am nächsten Tag, Dienstag, dem 3. Mai, kamen sie wieder zurück. Diesmal jedoch mit mehr Männern als Vieh. Und abermals standen sie vor einem verschlossenen Tor. Nach einiger Zeit hatten sich ca. 20-30 Männer versammelt, doch das Tor blieb verschlossen. Die Weseker verloren allmählich die Geduld und irgendwann waren sie so wütend, dass sie beschlossen, „das Tor selbst zu öffnen“. Das Tor wurde daraufhin gewaltsam geöffnet und die Scharniere und Klemmen aus den Pfosten gerissen. Kurz gesagt, von dem Tor war nicht viel mehr übrig als ein Haufen Brennholz. Auch das Vieh wurde (absichtlich oder nicht) nicht mehr zur Mark getrieben und konnte somit frei herumlaufen. Das hatte zur Folge, dass vier Äcker mit Winterroggen und viele andere Flächen zertrampelt, abgefressen und von den Kühen verwüstet wurden. Der gesamte Weg war mit abgerissenem und abgefressenem Winterroggen übersät, denn der Appetit des Viehs war groß. Die Verwüstung der Weiden und der Zufahrtsstraße zum Hof war enorm, wie aus dem später erstellten Dokument hervorgeht.

 

Das Adelshaus Velen, als Eigentümer des Hofes Drochters, wurde über diesen Vorfall informiert und schickte daraufhin seinen Grundstücksverwalter Adam Jungeblodt nach Weseke, um über den Vorfall, den entstandenen Schaden und die Verantwortlichen zu berichten. In Weseke angekommen, wandte sich Adam Jungeblodt an eine Reihe relevanter Personen, um bei den Protesten gegen den Vorfall zu vermitteln und um weitere Informationen zu erhalten. Der erste, den Jungeblodt besuchte, war der 55-jährige Johan Thier, Vater des damals bereits ernannten Pfarrers Johann Hermann Thier (1686-1725). Thier konnte nichts anderes tun, als ihm zuzuhören und versprach, seinen Sohn darüber zu informieren.
Danach war Johan Costers an der Reihe, und auch er
sollte über den Schaden berichten. Costers sagte ihm jedoch, dass er nichts damit zu tun habe und ihm allein kein Schaden angelastet werden könne, sondern eigentlich der ganzen Gemeinde. Er sagte weiter, dass das Tor immer nur mit Zustimmung des Gaugrafs geöffnet wurde. Costers konnte dies nicht schwarz auf weiß beweisen, da die Genehmigung für dieses Tor nicht ausdrücklich schriftlich erteilt worden war. Der Gaugraf hatte einfach so verfügt, dass im Regelfall, und nicht so wie es jetzt geschah, alle Tore geöffnet werden müssen, wenn es um den Zugang zur Mark ging. Kurz gesagt, das Tor hätte überhaupt nicht geschlossen und überdies gar nicht vorhanden sein dürfen. Nach Ansicht von Costers waren die Weseker also völlig im Recht.
Anschließend ging Adam Jungeblodt zum 47-jährigen Joan Lappers, genannt Enning vom Hof Enning, dem Vater des damals 19-jährigen Berndt Enning, der mit seiner Frau Christina Fuest einen Gasthof in Weseke eröffnen wollte. Dieser war allerdings nicht zu Hause.

Am Mittwoch, dem 11. Mai 1689, gelang es dem Grundstücksverwalter Adam Jungeblodt, Henricus Massen dazu zu bewegen, ihn als Zeuge zum Notar Joannes Kernebocke zu begleiten, wo er die ganze Situation schriftlich festlegen ließ. Notar Kernebocke versiegelte das Dokument persönlich mit seinem Notariatssignet und seinem Leitsatz „Veritas odium parit“ oder „Die Wahrheit macht Feinde“, woraufhin das Dokument zur weiteren Bearbeitung an das Gericht in Münster ging.

Notariatssignet des Notars Joannes Kernebocke: „Veritas odium parit“

Für die rechtlichen Folgemaßnahmen stützen wir uns auf ein einziges Dokument, dessen Übersetzung in „normales Deutsch“ nicht leicht ist. Aus diesem Dokument geht hervor, dass nicht lange vor dem Vorfall mit dem Tor am Hof Drochters ein Urteil gegen die Einwohner von Weseke ausgesprochen und vollstreckt wurde, das den Durchgang über Hof Drochters zur Mark verbot; das Tor durfte also aufgrund dieses Urteils geschlossen bleiben. Auf welcher Grundlage dieses Urteil gefällt wurde, ist unklar. War es wegen des regelmäßigen Vandalismus, der wie bei Schulte Beijering am Viehdurchgang zur Mark stattfand? Jedenfalls hatten die Einwohner von Weseke gegen dieses Urteil Widerspruch eingelegt, der im Übrigen für keinerlei Aufschiebung gesorgt hatte, sodass das Tor während des Gerichtsverfahrens geschlossen bleiben durfte. Doch das hat die Weseker offenbar dazu bewogen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, als das Tor geschlossen blieb, denn sie fühlten sich wahrscheinlich durch das positive Urteil über die Berufung (die noch ausstand) bestätigt und glaubten, das Recht bereits auf ihrer Seite zu haben. Solange das Verfahren noch nicht abgeschlossen war, durfte also nichts unternommen werden.

Infolge dieses Vorfalls wandte sich dann aber auch der Freiherr von Velen mit dem Schreiben des Notars Kernebocke an das bischöfliche Hofgericht, dass die Bewohner von Weseke das Tor widerrechtlich zerstört und weiteren Schaden an der Ernte angerichtet hätten. Der Richter hatte inzwischen verstanden, dass die ganze Situation für die Einwohner Wesekes unhaltbar geworden war. Schließlich war der Zugang zur Mark jahrelang über den Hof Drochters erfolgt und eine dauerhafte Schließung würde es ihnen erheblich erschweren, ihr Vieh auf die Weseker Mark zu bringen. Das Gericht entschied daher, dass eine „mandatum revocatorium attentatorum cum omni causa sine clausula“ oder revidierte unbedingte Verfügung mit dem Inhalt, dass die Blockade sofort aufgehoben werden müsse, dem Freiherrn von Velen und dem Hof Drochters so schnell wie möglich notariell ausgestellt werden müsse. Außerdem kam das Urteil einer gerichtlichen Anordnung gleich, die Zerstörungen vollständig einzustellen und den entstandenen Schaden zu ersetzen, womit
die Weseker alles in allem recht gut davon kamen.

Mit Dank für die Beiträge von Ulrich Söbbing (Gemeindearchiv Südlohn)


1) Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen U 132 Gesamtarchiv von Landsberg-Velen
(Dep) Akten Nr 18230

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